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SEBASTIAN STEUDE
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Pirin Nationalpark

Zum ersten Mal seit Jahren zeigt der Winter 23/24 gleich zu Beginn, was in ihm steckt. Ist die Vorwoche bereits recht winterlich, so schneit es am 02. Dezember, einen Tag vor dem 1. Advent, den gesamten Tag im südlichen Bayern und am Ende summiert sich die Schneemenge vielerorts auf deutlich über einen halben Meter. Das ist mal eine Ansage – und dann auch noch pünktlich zu meinem Geburtstag am 03. Dezember. Ein schöneres Geschenk kann es eigentlich fast nicht geben. Leider habe ich allerdings zielsicher dieses Jahr und genau ebenjenen 02. Dezember gewählt, um für anderthalb Wochen nach Bulgarien zu reisen. Das Wetter verspricht Chaos pur und genauso geht es auch los.

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Da der Zugverkehr zwischen München und Salzburg für mehrere Tage eingestellt wird, fährt mich netterweise eine Freundin in die vorweihnachtliche Mozartstadt. Dort warten wir dann mehr als eine Stunde auf den Bus, der natürlich ebenfalls mit dem vielen Schnee zu kämpfen hat. Dann kann es losgehen und der Fahrer scheint sich inzwischen warmgefahren zu haben. Aus den anderthalb Stunden Verspätung in Salzburg werden nämlich tatsächlich zwei Stunden, die wir am Ende zu früh in Sofia ankommen. Wir sind allerdings auch die einzigen Verkehrsteilnehmer, die an diesem Tag auf den teilweise völlig zugeschneiten Autobahnen konsequent auf der linken Spur bleiben.

Die bulgarische Hauptstadt präsentiert sich am folgenden Morgen leider jedoch ziemlich schneelos. Lediglich ein paar wenige, dreckig-graue Häufchen zeugen davon, dass auch hier der Winter einmal kurz vorbei geschaut hat. Mit dem Zug fahre ich weiter nach Septemwri. Hinter dem eigentlichen Bahnhof liegt gut versteckt zwischen alten, halb verfallenen Gebäuden und mit Efeu überwucherten Güterwaggons ein zweiter winziger Bahnhof. Dessen Größe passt gut, denn hier verkehrt die Rhodopenbahn, die letzte Schmalspurbahn Bulgariens. Sage und schreibe fünf Stunden braucht die Bahn für die 125 Kilometer bis zur Endhaltestelle in Dobrinischte.

Mit etwa 30 km/h durch die bulgarische Bergwelt zu zuckeln, ist eine Entschleunigung der besonderen Art. Dafür wird rasch klar, warum die Verbindung auch als „Rhätische Bahn des Balkans“ bezeichnet wird. Gespickt mit zahlreichen Tunneln und Brücken, windet sich die Bahnstrecke spektakulär durch die wilde Landschaft. Auch bei den Bulgaren scheint die Bahn eine ziemliche Attraktion zu sein, denn viele machen aus ihren Autos heraus Handyvideos, während wir gemächlich an ihnen vorbeirattern. Dabei wird auch Awramowo passiert. Auf 1.267 Metern gelegen, ist der Bahnhof der höchste der gesamten Balkanhalbinsel. Hier hat es dann auch ein wenig Schnee, in meinem Zielort Bansko sieht es hingegen aus wie in Sofia – nur dreckig-graue Schneehäufchen.

Der Trend zu milderen Wintern macht leider auch vor dem, was ich jedoch erst dort erfahre, größten bulgarischen Wintersportgebiet nicht halt. Wenn ich ehrlich bin, wusste ich allerdings vor meiner Reise so gut wie nichts über Bansko. Lediglich dass sich der Ort am Eingang zum Pirin Nationalpark befindet, war mir bekannt. Umso mehr lerne ich in den folgenden Tagen von Vladimir, dem äußerst freundlichen und auch sehr gesprächigen Mitarbeiter meines kleinen, heimeligen Hotels, in dem ich für sechs Tage verweile.

Vladimir ist Anfang dreißig und stammt selbst aus Bansko. Dementsprechend kennt er auch noch den ursprünglichen Ort der Jahrtausendwende. Anschließend erlebte Bansko einen radikalen Umbruch. Investoren stampften am 2.746 Meter hohen Todorka ein stattliches Skigebiet aus den bis dato komplett bewaldeten Hängen. Dann ging alles sehr schnell. Aus fünf Hotels wurden mehr als fünfhundert und zu den 10.000 Bewohnern gesellen sich in der Hochsaison zusätzlich mehr als 20.000 Übernachtungsgäste.

Während das alte Bansko noch in etwa so aussieht, wie man sich ein kleines, verschlafenes Städtchen auf dem Balkan vorstellt – enge Gassen, etwas heruntergekommene Häuser – so befindet sich darüber das „neue“ Bansko mit großen 24h-Supermärkten, Casinos, Erotic Clubs, Diskos, Restaurants, Bars, zig Wechselstuben (obwohl Bulgarien zur EU gehört, zahlt man dort noch mit Lewa) und vor allem mit unzähligen Hotels und großen Appartementhäusern. Um das verrückte Bild abzurunden, stehen zwischen den Hotels, die solch schmeichelnde Titel wie Elegant oder Dream tragen, auch immer wieder große Bauruinen oder die Überbleibsel von abgebrannten Unterkünften. Es ist ein bisschen wie auf der völlig zugebauten und überlaufenen Zugspitze. Auf der einen Seite kann man sich einer gewissen Faszination nicht entziehen, in erster Linie schreckt das Bild, das sich einem bietet, aber doch sehr ab.

Im starken Kontrast zu den zahlreichen Neubauten befindet sich mein Hotel in einem alten bulgarischen Haus mit kleinen Zimmern, die mich Dank des dunklen Holzes, das sie komplett verkleidet, etwas an die düsteren Gästezimmer aus „Tanz der Vampire“ erinnern. Noch kleiner sind die Türen, an denen ich mehr als einmal mit meinem großen Rucksack hängenbleibe.

Am folgenden Tag gehe ich den Schnee suchen, finde ihn aber leider erst etwa 800 Meter oberhalb von Bansko in ausreichender Menge. Da ich es bis auf etwa 2.600 Meter schaffe, ergibt sich am Ende aber dennoch eine recht stattliche Skitour. Ich habe extra kleine, leichte Tourenski mit Steigeisenbindung dabei, so dass ich sie auch mit meinen festen Bergschuhen fahren kann, dennoch beschränke ich mich die folgenden drei Tage auf normale Wanderungen im Nationalpark. Der 1963 gegründete Pirin Nationalpark deckt fast das komplette, gleichnamige Gebirge ab. Mit dem Vihren befindet sich hier ein Fast-Dreitausender, der sich immerhin mit dem Prädikat „Zweithöchster Berg Bulgariens“ und gleichzeitig „Dritthöchster Berg des Balkans“ schmücken darf. Bei meinen Wanderungen bin ich eine Etage tiefer unterwegs und tauche so in die großen, relativ dunklen Kiefernwälder ein. Mit der Bajkuschewa Mura gibt es hier auch einen der ältesten Bäume der Welt. Auf stattliche 1.300 Jahre hat es der zähe Knochen gebracht und er macht nach wie vor einen sehr vitalen Eindruck.

Nach einer Woche verabschiede ich mich aus meiner Unterkunft. Die Bergschuhe werden geschnürt, die Ski im Rucksack verstaut, dann steuere ich die Vihren Hütte an. Die relativ große Berghütte befindet sich in sehr schöner Lage am Beginn eines hochalpinen Tals auf fast 2.000 Metern. Im Winter ist sie zwar nicht bewirtschaftet, doch sind ein paar Schlafräume frei zugänglich, so dass man hier auch in der kalten Jahreszeit übernachten kann. Vier bis fünf Stunden sind es in etwa von Bansko bis zur Hütte, fährt man mit dem Auto zum hochgelegenen Parkplatz von Bunderishka polyana, verkürzt sich der Zustieg auf anderthalb.

Da ich relativ früh dran bin, steige ich noch weiter auf, indem ich einem rot markierten Steig in Richtung Hvoinati folge. Auf 2.150 Metern zweigt ein zugeschneiter Steig nach rechts ab zum Kazana Biwak. Auf einem markanten Bergrücken halte ich an. Hier beginnt der Nordostgrat auf den Vihren, auch bekannt als Djamdjiev-Grat. Im Winter gehört der lange Grat zu den beliebtesten Klettereien der Region. Direkt unterhalb des Grats finde ich eine schöne, große Schneewehe, in die ich mir mit der Lawinenschaufel eine geräumige Höhle buddele. Nach zwei Stunden ist meine provisorische Unterkunft fertig und ich genieße die letzten orangenen Strahlen der untergehenden Sonne, die auf den gegenüberliegenden Todorka fallen, während unter mir ganze Heerscharen von Gämsen auf Nahrungssuche sind.

Eine Freinacht im winterlichen Gebirge ist jedes Mal etwas ganz besonderes und so gehe ich am folgenden Morgen motiviert den Grat an. Die schwierigsten Passagen kommen gleich zu Beginn. Hier stecken auch ein paar alte Schlaghaken, Zeugen einer langen Klettertradition auf diesem Fleckchen Erde. Nach den kombinierten Anfangspassagen neigt sich der Grat deutlich zurück, führt dafür aber als nun zum Teil äußerst schmale Schneide weiter gen Gipfel – Fehler darf man sich hier keine erlauben. Nach einer Scharte, die einen tollen Blick auf den lediglich sechs Meter niedrigeren und in seiner reinweißen Pyramidenform absolut bestechenden Kutelo bietet, folgt der letzte Abschnitt des Grats; eine anfangs nochmals ziemlich steile Firnstapferei, die nach oben hin jedoch immer flacher wird.

Nach anderthalb Stunden stehe ich auf dem 2.914 Meter hohen Gipfel des Vihren – und mir fällt fast alles aus dem Gesicht. Der Grat war bisher vollkommen windgeschützt, lediglich die Schneefahnen am Gipfel habe ich registriert. Und ebenjene zeugen von einem Sturm, der wirklich nicht mehr feierlich ist. Also laufe ich nur schnell zur Gipfelstele, ziehe dort eine zweite Jacke über und mache mich dann sogleich auf den Abstieg nach Süden, bevor mir noch irgendetwas abfriert.

Vom Premkata-Sattel aus ersteige ich noch den 2.632 Meter hohen Hvoinati, dann schnalle ich meine Ski an und fahre in leider sehr wechselhaftem Schnee ins Ravnako-Tal hinab. Der erste Hang lässt sich wunderbar fahren, dann folgt leider übelster Bruchharsch und so finde ich mich auch zweimal mit meinem schweren Rucksack in etwas unglücklicher Rückenlage im Schnee wieder. In dem menschenleeren Tal verbringe ich anschließend eine zweite Nacht in einer Schneehöhle, bevor ich am nächsten Tag bis zum großen Parkplatz von Bunderishka polyana abfahren kann. Dort heißt es dann, Ski abschnallen und noch zweieinhalb Stunden nach Bansko zurücklaufen. Damit endet auch schon wieder mein kleiner Bulgarienurlaub. Die Reise hat mal wieder gezeigt, dass es weder ein großes Budget, noch ein Flugzeug oder eine langwierige Planung braucht, um ein kleines, spannendes Fleckchen Erde in Europa kennenzulernen.


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© 2024 Sebastian Steude

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